Eindrücke & Highlights vom Mentales Stärken Online-Kongress 2020

Der Kongress Mentales Stärken hätte vom 28.10. bis 1.11.2020 in Würzburg stattfinden sollen. Dabei waren die Organisatoren stark gefordert im Umgang mit sich ständig ändernden Vorgaben und Entwicklungen aufgrund der aktuellen Gesundheitslage. Ich denke, man kann schon sagen, dass sie dabei selbst mentale Stärke bewiesen haben, als sie den Kongress kurzerhand in einen Online-Kongress ummodellierten.

Was kann man vom Online-Kongress Mentales Stärken erwarten? Was sind die Schlüsselerkenntnisse, die sich unser Autor aus dem Kongress mitnimmt? Was konnte in diesem online Format gut vermittelt werden, was weniger? Das MEG-Blog Team hat einen kostenlosen Zugang erhalten und nimmt in diesem Artikel den Online-Kongress für euch unter die Lupe:

Über die Umsetzung des Kongresses

Der Kongress “Mentales Stärken” fand wie viele andere Kongresse in diesem Jahr zum ersten Mal online statt.

Damit waren für die OrganisatorInnen vermutlich einige Unsicherheiten verbunden. So wird in dem Grußwort des Veranstalters Bernhard Trenkle darauf hingewiesen, dass sich die Anforderungen ständig änderten und die VeranstalterInnen selbst wenige Tage vor dem Kongress nicht wussten „wer von der Handvoll KollegInnen” auch wirklich kommen kann.

Die Aufzeichnungen der einzelnen Workshops und Live-Sessions werden noch mindestens ein Jahr über den Anbieter Elopage online abrufbar sein. Ich habe übrigens nicht live am Kongress teilgenommen, sondern Mitte November die Aufzeichnungen angeschaut. Daher kann ich die Live-Umsetzung nicht beurteilen. Was mir aufgefallen ist, ist, dass noch nicht alle Videos zum diesem Zeitpunkt verfügbar waren. Diese werden wohl nach und nach hochgeladen. Gestört hat es mich nicht, da alle Vorträge, die ich sehen wollte, online waren. Wenn man einen bestimmten Vortrag sehen möchte, kann man sich an das OrganisatorInnen Team wenden.

Die Struktur

Der Kongress ist online in verschiedene Kategorien aufgeteilt. Das fand ich stellenweise etwas verwirrend. Ich denke, das ist wohl auch eine Folge der Kurzfristigkeit. Die Vorträge waren ursprünglich für eine Präsenzveranstaltung ausgelegt. Jetzt musste man dieses Format auf einen Online Kongress ummünzen, was für mich nicht die intuitivste Struktur war. Gefunden habe ich alle Vorträge, die ich sehen wollte trotzdem.

Angebot in der Live Version des Online-Kongresses

Für manche Programmpunkte gab es die Möglichkeit zum Zeitpunkt des Kongresses daran teilzunehmen: Hier gibt es nur noch den Verweis auf ein Zoom-Meeting. Dabei handelt es sich meistens allerdings um Programmpunkte, die vor allem zur Auflockerung für die TeilnehmerInnen während des Kongresses gedacht sind (z.B. “Tanzen online”).

Online-Formate können auch spannende neue Erlebnisse bieten. Das zeigt sich daran, dass der Kongress nun einen Ausflug nach Abano in den Klosterhof möglich gemacht hat – dort wo beim Metaforum die Pausen verbracht werden. Diesen Raum hat das Metaforum freundlicherweise auch für Mentales Stärken zur Verfügung gestellt.

Der virtuelle Pausenraum Klosterhof

Ermöglicht hat das ein Online-Tool namens Remo. Eine wirklich pfiffige Idee, wie ich finde – da ich nicht live am Kongress teilgenommen habe, konnte ich diese Form der Pausengestaltung leider nicht ausprobieren.

Soviel zur allgemeinen Umsetzung des Online-Kongresses. Doch was ist mit den Inhalten? Welche Themen gab es und was konnte ich aus den Vorträgen mitnehmen?

Die Themen

Ein Themenschwerpunkt liegt bei einigen der Vorträge auf dem Umgang mit Krisen und ungewissen Zeiten. So gibt es Impulse zu Tipps und Tricks zu “Fake News und Quarantäne” (von Frauke Niehues), zur Aktivierung von Stärke (von Charlotte Wirl) oder auch zur inneren Stärke in turbulenten Zeiten (von Weert Jacobsen-Kramer). 

Aber auch Aspekte von mentaler Stärke in Organisationsentwicklung, Führungskräfte-Arbeit und (Leistungs-) Sport wurden in den Vorträgen thematisiert.

Das Schöne an diesem Online-Kongress ist, dass es ein vielfältiges Angebot gibt und jeder andere Interessenschwerpunkte hat. In diesem Artikel findest du nun meine wichtigsten Erkenntnisse aus dem Vortrag von Barbara Fischer-Bartelmann Erfolg haben dürfen – die Auflösung Dysfunktionaler Loyalitäten mit den Mitteln der Pesso-Therapie und Sport hypnosis – train your brain to become a world champion von Dr. Enayat Shahidi.

Erfolg haben dürfen

Ein Schwerpunkt meines Interesses liegt auf unterbewussten Verhaltensmuster und wie diese die Leistung im Sport beeinflussen. Daher war der Vortrag “Erfolg haben dürfen” besonders spannend für mich und zum Glück auch schon online.

Die Vortragende Barbara Fischer-Bartelmann erwähnt eingangs, dass es paradox anmuten mag, dass man sich erlauben müsse, Erfolg haben zu dürfen. Erfolg sei ja schließlich etwas, das vordergründig alle Menschen haben wollen.

Tatsächlich gibt es aber immer wieder Situationen, in denen Menschen nicht aufgrund von mangelnden Fähigkeiten, sondern aufgrund mentaler Prozesse nicht ihr volles Potenzial abrufen. Das gilt im Sport, aber auch in Bezug auf wirtschaftlichen Erfolg oder gelingende Partnerschaften. 

Holes in Roles

Durch das Verstehen und Auflösen der zugrundeliegenden Prozesse besteht die Möglichkeit mehr Potenzial abzurufen. In dem Vortrag erläutert Fischer-Bartelmann zunächst, auf welcher Grundlage aus Sicht der Pesso-Therapie es zu solchen dysfunktionalen Loyalitäten kommen kann: Wenn beispielsweise durch Verlust (Scheidung, Tod eines Familienmitglieds, Konkurs) eine Lücke in einem Familiensystem (“Holes in Roles”) entsteht, kann es passieren, dass andere Mitglieder dieses Systems diese Lücke schließen. Sie nehmen dann Teile der Rolle der Person ein, die die Lücke hinterlassen hat. So könnte beispielsweise ein Kind versuchen durch bestimmte Handlungen seinen verstorbenen Vater für die Mutter zu ersetzen. In einem solchen System beginnen die Mitglieder mehr zu geben als selber auf die eigenen Bedürfnisse Rücksicht zu nehmen.

Dies kann beispielsweise aus Mitgefühl geschehen oder um Schuldgefühle zu verringern. Hier sei eine “innere Mathematik” am Werke bei der versucht wird das Leid des einen durch den Verzicht (auf Erfolg) des anderen aufzuwiegen. Dass diese Rollenverschiebungen und Loyalitäten problematisch sind, ist offensichtlich. 

Auflösung dysfunktionaler Loyalitäten

Die Auflösung dieser dysfunktionalen Loyalitäten ist daher der Schlüssel dafür, dass in diesem System wieder Erfolg stattfinden darf. Spannend an dieser Auflösung ist, dass es laut Vortragender aber nicht reicht, zu fragen, was die KlientIn früher gebraucht hätte, um die Dysfunktion so aufzulösen. Der Grund ist, dass die KlientInnen so sehr in einer Geber-Rolle sind, dass sie das nicht dauerhaft annehmen können.

Holes in Roles und ihre Auflösung

Stattdessen ist es hier notwendig zu fragen, was die anderen Beteiligten idealtypisch in diesem System gebraucht hätten, damit für sie gesorgt gewesen wäre. Diese Überlegungen, was notwendig gewesen wäre, spielt man auf vielen verschiedenen Rollen-Ebenen durch. 

Dadurch tritt Schritt für Schritt Entspannung bei den KlientInnen ein, sodass sie irgendwann auch selbst aus der Rolle der Immer-Gebenden in eine Rolle der Bedürftigen kommen können. Dadurch bekommen die KlientInnen einen anderen Blick auf ihre Lebensgeschichte und können aus diesem Blick dann auch in ein Leben gehen, in dem sie ihren Erfolg annehmen können.

Es gab noch weitere Vorträge, die sich mit Aspekten des Mental-Coachings im Sport beschäftigt haben, welche bereits abrufbar waren. So konnte ich aus den Vorträgen spannende Erkenntnisse über die Funktionsweise des Gehirns und daraus resultierenden mentalen Prozessen gewinnen.

Sporthypnose

In dem Vortrag “Sport hypnosis – train your brain to become a world class champion” beschreibt der Vortragende Dr. Enayat Shahidi sein “6 Phase Protocol” für Hypnose im Sport. 

Ein für mich besonders interessanter Aspekt war, dass einer der sechs Punkte die Stärkung des Egos ist – welches ja ein bewusster Teil des Menschen ist, der in der Hypnose nicht direkt angesprochen wird. Tatsächlich ergibt das aber sehr viel Sinn, denn das Ego im Wachbewusstsein ist ja der ausführende Teil im sportlichen Wettkampf. 

Es ist also nützlich, das Selbstbild der SportlerIn zu stärken. Dies kann wiederum durch Techniken erzielt werden, die an unterbewussten Glaubenssätzen arbeiten. Das Vorgehen, das Ego der AthletIn zu steigern ist also indirekt.

Sporthypnose

Durch Hypnose zum Erfolg

Neben diesen egostärkenden Methoden betont Shahidi die Bedeutung von “klassischen Hypnosetechniken”: So nutzt er die Übertragung positiver Metaphern und Gefühle früherer Erfolgsmomente, um KlientInnen in einen ressourcenvollen Zustand zu führen. So wird die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass dieser Zustand in Wettkampfsituationen genutzt werden kann. Als Zuschauer empfand ich es als besonders angenehm, dass er den Vortrag durch eine Hypnose-Demonstration beendet hat. Dadurch konnte ich die theoretischen Inhalte des Vortrags direkt praktisch erfahren.

Zusatz-Format: Frage & Antwort

Auch bei Online-Vorträgen kommt es natürlich vor, dass TeilnehmerInnen während oder nach einem Vortrag Rückfragen oder Kommentare haben. Spannend ist die Umsetzung: Wie können diese Beiträge auch bei Online-Vorträgen möglichst einfach und direkt an die Vortragenden kommuniziert werden?

Beim “Mentales Stärken”-Kongress gab es hierfür ein zusätzliches Feature: Bei einigen Vorträgen gibt es im Anschluss an den eigentlichen Vortrag ein zweites Video, das den Titel “Fragen und Antworten“ trägt. In diesem Zusatzvideo beantworten die Vortragenden tatsächlich einige Fragen. Allerdings ist mir aufgefallen, dass nur bei einem kleinen Teil dieser Zusatzvideos Fragen von TeilnehmerInnen gestellt werden. In den meisten Videos stellt jemand aus dem Organisations-Team die Fragen. Manche dieser Gespräche driften dabei teilweise etwas in eine Plauderei ab, statt sich ausschließlich mit dem Thema zu beschäftigen. Im Großen und Ganzen liefern sie aber spannende zusätzliche Perspektive auf die Vorträge und Gelegenheit die Vortragenden noch einmal genauer kennenzulernen.

Fazit

Inhaltlich habe ich alle Vorträge und Vortragenden auf einem sehr kompetenten Niveau erlebt. In den “Frage und Antwort”-Videos wurde im persönlichen Gespräch zudem die hypnotherapeutische/ oder -systemische Haltung vieler Vortragenden deutlich: Immer wieder nahmen die SprecherInnen Bezug auf die Bedeutung einer wertschätzenden Ressourcenorientierung im therapeutischen Kontext. 

Mein Eindruck ist, dass der erste Online-“Mentales Stärken”-Kongress aus einer therapeutischen, fachlichen aber auch menschlichen Perspektive als sehr gelungen bezeichnet werden kann. Einige technische Probleme sind mit Sicherheit einem herausfordernden Zeitplan geschuldet und tun aus meiner Sicht der Freude beim Zusehen keinen Abbruch. 

Es bleibt zu hoffen, dass der nächste “Mentales Stärken”-Kongress wieder in Präsenz stattfinden kann, doch sollte das nicht der Fall sein, bin ich sicher, dass auch eine weitere Online-Edition ähnlich bereichernde Einblicke in die Welt von Hypnotherapie und Mentalcoaching bieten wird.

Autor: ​Aldo Haumann

​Aldo ist Master of Arts der Philosophie und absolvierte in Wien ein Masterstudium für hypnosystemische Beratung und Interventionen. Er macht zurzeit eine Ausbildung zum Lebens- und Sozialberater und systemischen Coach. Im Zuge dieser Ausbildung betreut er hypnosystemische Kongresse und Institute in Deutschland und Österreich.

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