Selbsthypnose: Wie du dich selbst in Trance versetzt
Menschen haben wie kein anderes Lebewesen zahlreiche Möglichkeiten, sich selbst zu steuern und zu beeinflussen. Gleichzeitig gibt es auch kein anderes Lebewesen, das so geübt ist, sich selbst im Weg zu stehen. Hier kommt Selbsthypnose ins Spiel: Selbsthypnose hilft dir, bewusste und unbewusste Prozesse mit deinen bewusst gewählten Werten und Zielen in Einklang zu bringen: Dich selbst also besser zu steuern (und weniger zu stören).
Mit Selbsthypnose kannst du:
- Unbewusste Prozesse wie Gefühle oder automatisches Verhalten besser steuern oder beeinflussen.
- Neue Perspektiven auf scheinbar perspektivenlose Herausforderungen bekommen.
Als ich das erste Mal mit Hypnose in Berührung kam, saß ich in einem Seminar in Heidelberg. Wir wurden eingeladen Hypnose selbst zu üben und ich bot mich meiner Gruppe als Klient an. Bis zu diesem Tag fühlte ich mich beim Einkaufen oft überflutet von Reizen. Das teilte ich meiner Übungsgruppe mit und formulierte gleichzeitig mein Ziel, mich in Einkaufssituationen wohler zu fühlen. Als ich das nächste Mal nach der Übung im Supermarkt war, fühlte ich mich wunderbar klar – keine Überforderung, kein Unwohlsein. (Und ich dachte schon, es sei genetisch in mir angelegt, dass ich mich beim Einkaufen immer unwohl und verwirrt fühle!)
Alles was wir wahrnehmen ist ja zunächst nur ein Phänomen. Ein Problem entsteht erst dann, wenn wir eine negative Beziehung zu diesem Phänomen entwickeln.
Ist Angst ein Problem? Es hängt von deiner Beziehung zu deiner Angst ab: Du kennst bestimmt Menschen, die Angst vor trivialen Dingen haben, aber dann vom 10-Meter-Turm im Freibad springen, ohne zu blinzeln. Sie haben, wenn sie vom 10-Meter-Turm springen, auch Angst, aber da finden sie den Kick super.
In der Selbsthypnose können wir die Beziehung zu gewissen Phänomenen (Angst, Unwohlsein, Geräusche, visuelle Reize etc.) umgestalten.
In Hypnose kannst du ändern, wie du Dinge siehst und wie du (später) unwillkürlich auf diese reagierst
Im Beispiel oben änderte ich meine Beziehung zu meinem Unwohlsein und den vielen Reizen in einem Supermarkt. Zuvor war die Wahrnehmung meines Gefühls (Unwohlsein) und den Geräuschen und visuellen Reizen negativ belegt. Nach der Hypnose empfand ich weder das Gefühl noch die Geräusche oder die visuellen Reize störend. Ich konnte endlich mit einem klaren Kopf und guter Laune einkaufen gehen.
Hypnose hilft dir auch deine unbewussten und bewussten Prozesse abzustimmen:
Wie in meinem Beispiel oben, sind Probleme oft dadurch gekennzeichnet, dass wir etwas wollen und etwas anderes ungewollt geschieht.
- Ich will produktiv sein, lande aber auf Facebook.
- Ich will arbeiten, fühle mich aber so müde.
- Ich will selbstbewusst sein, fühle mich aber ängstlich.
- Ich will bewusst das eine und es passiert unbewusst (weiß nicht, ob Dinge unbewusst passieren können) das andere.
Ich will das eine und es passiert ungewollt etwas anderes.
Dabei sind immer zwei Teile involviert. Ein bewusster Teil, der etwas will: produktiv sein. Und ein unbewusster, automatischer Teil, der etwas anderes automatisch macht (ich lande auf Facebook) oder unwillkürliche Gefühle in mir hochkommen lässt (ich fühle mich müde, demotiviert, ängstlich etc.).
Genau wie in meinem Beispiel oben: Ich wollte mit einem klaren Kopf einkaufen, fühlte mich im Supermarkt aber überfordert und unwohl.
Selbsthypnose hilft dir, wenn du etwas bewusst willst und deine unwillkürlichen Reaktionen, Gefühle und oder Impulse (noch) nicht mitmachen: In einer Trance kannst du die unwillkürlichen Reaktionen durch innere Bilder, Metaphern und Suggestionen umgestalten. In meinem Beispiel oben habe ich meine unwillkürliche Reaktion der Überforderung in Supermärkten in eine innere Klarheit gewandelt.
Hypnose hätte nicht funktioniert, wenn ich ein einseitiges Ziel gewählt hätte – ein Ziel, das andere wichtige Bedürfnisse vernachlässigt. Manchmal wollen wir bewusst etwas, was für uns nicht gut ist. Unser Unbewusstes gibt uns dann Hinweise, dass unsere Ziele nicht nachhaltig sind. Wenn du müde bist, obwohl du produktiv sein willst, dann kann das viele Gründe haben: Du schläfst zu wenig oder gönnst dir zu wenig Ruhe. Wenn du also Selbsthypnose nutzt, um deine Bedürfnisse langfristig einseitig zu erfüllen (nur produktiv sein und Ruhe ist schlecht), dann schickt dir der unbewusste Teil einen Ausgleich z.B. in Form von chronischer Müdigkeit.
Es geht bei Selbsthypnose also nicht nur darum zu erreichen, was du bewusst willst (Selbstbewusstsein, Produktivität etc.), sondern dein Unbewusstes und dessen Signale (Müdigkeit, Angst etc.) auch ernst zu nehmen!
Nachdem wir geklärt haben, was dir Selbsthypnose bringt, lass uns mal näher betrachten, was denn Hypnose (nicht) ist.
Was ist Hypnose
Einen detaillierten Artikel über Hypnose habe ich dir hier verlinkt. Hier noch einmal eine kurze Zusammenfassung, worum es bei Hypnose geht:
Hypnose in der Hypnotherapie ist im Wesentlichen die Fokussierung deiner Aufmerksamkeit und ein Zustand, in dem es möglich ist, die Grenzen, die uns die alltägliche Logik vorsetzt, zu umgehen. In einer Hypnose oder Trance bist du intensiv auf einen Gegenstand konzentriert – alle anderen Reize werden je nach Tiefe der Trance mehr und mehr ausgeblendet. In diesem entspannten Zustand ist es dann auch möglich, Lösungsansätze zu finden, auf die man im normalen Wachzustand nicht gekommen wäre.
Der intensive Fokus auf einen Gegenstand führt uns Schritt für Schritt in eine Trance.
Eine Trance unterscheidet sich von bekannten Bewusstseinszuständen wie dem Traum, Schlaf oder Wachzustand. Von außen betrachtet bist du während einer Trance einfach in einem tief entspannten und gleichzeitig konzentrierten Zustand. Während du in einer Trance bist, haben deine Vorstellungen eine sehr intensive Wirkung auf deine Empfindungen und Gefühle.
Wofür kannst du Hypnose also nutzen?
Du kannst Trance bzw. Hypnose als ein mentales Training benutzen. Stell dir eine Herausforderung vor, der du in der nächsten Zeit begegnest:
- Ein wichtiges Gespräch
- Eine Bewerbung
- Eine Präsentation oder anderes
In einer Trance kannst du üben, wie du auf Schwierigkeiten reagierst, du kannst dir vorstellen, wie du die Nervosität annimmst, tief durchatmest und ganz du selbst bleibst.
Von Paul MacLean stammt eine vereinfachte Theorie über das menschliche Gehirn, die uns Ansatzpunkte gibt, wie wir in einer Trance arbeiten können. Er unterteilt das Gehirn in das Reptilienhirn (Stammhirn), das Säugetierhirn (Mittelhirn) und das Primatenhirn (Kortex)¹. Im Reptilienhirn und Säugetierhirn ist unser Unbewusstes verankert – also alle automatischen und unbewussten Prozesse. Weder Reptilien noch Säugetiere sprechen eine abstrakte Sprache, wie wir sie sprechen. Was sie jedoch kennen, sind Wahrnehmungen wie z.B. Bilder und Töne.
Um mit unserem Unbewussten zu kommunizieren, müssen wir uns anpassen und dessen Sprache sprechen. Indem du dich in eine Trance begibst und dir bildhafte Vorstellungen machst, sprichst du die Sprache deines Unbewussten. So und durch die erhöhte Lernfähigkeit in einer Trance, förderst du die Koordination zwischen dem, was du bewusst willst und dem, was automatisch geschieht.
Wie du Trance noch nutzen kannst:
Deine Kreativität ist das Limit, was die Möglichkeiten angeht, die du in einer Trance hast.
Du kannst dir in einer Trance vorstellen:
- wo du in einem, fünf oder zehn Jahren stehen willst
- wie du wertvolle Erfahrungen nachholst, indem du dir etwas intensiv vorstellst, was so vielleicht nicht passiert ist (auf dein Unbewusstes aber so wirkt, als wäre es passiert).
- wie du Ziele erreichst oder neue Fähigkeiten erlernst
- wie du mit dem, was dir wichtig ist, in Kontakt bist (Lebendigkeit, Verbundenheit mit allem)
- wie du einen Tagesablauf gestalten willst
- welche Qualitäten an einem Tag, in einer Woche, Monat oder einem Jahr verwirklichen willst (finanzielle Unabhängigkeit, Orientierung über berufliche Entwicklung, Spaß, Freude, Achtsamkeit, Einssein mit allem, Gemeinschaft…)
- wie du genesen kannst (Selbstheilung)
- wie du in der Zukunft stehst und eine Fähigkeit erlernt hast und von der Zukunft aus auf die Vergangenheit zurückblickst und dich fragst, wie du diese Fähigkeit erlernt hast.
Wie gesagt deine Kreativität ist das Limit.
Was ist die Basis für eine Veränderung durch Hypnose?
Es gibt ein paar Grundsätze, die dir helfen, deine Selbsthypnosepraxis nachhaltig und bereichernd zu gestalten.
Der erste Grundsatz ist Achtsamkeit: Das heißt, eine nicht-urteilende, akzeptierende Haltung einzunehmen. Das ist gar nicht so einfach. Immer wieder wollen wir Gefühle und Zustände und anderes verdrängen und weg stoßen: Doch das ist kein förderlicher Nährboden für was auch immer du in der Hypnose erreichen möchtest. Trance ist ein Zustand, in dem alles sein darf, jedes Gefühl, jeder Gedanke und jedes Bedürfnis. Bis du das regelmäßig hinkriegst, braucht es allerdings etwas Training. Aber wenn du dran bleibst, wirst du sehen, dass dir diese nicht-urteilende Haltung immer besser gelingen wird.
Neben diesem akzeptierenden und nicht-urteilenden Rahmen braucht es zudem geschickt gewählte Ziele für deine Hypnose-Session. Oft wählen wir Vermeidungsziele:
- Ich will nicht mehr ängstlich sein
- ich will mich nie wieder unsicher fühlen
- und ähnliche Ziele
Diese Ziele funktionieren nicht. Wähle positive Ziele, also was du erreichen willst und nicht, was du nicht willst. Und stelle sicher, dass dieses Ziel nicht auf Kosten eines anderen wertvollen Bedürfnisses geht, das du unbewusst abwertest.
Manchmal haften wir auch an unseren positiven Zielen an: „Ich will mich immer selbstbewusst fühlen.“ Diese Ziele sind im Kern auch Vermeidungsziele, weil wir so vermeiden wollen, dass wir uns ängstlich fühlen.
Hypnose lernen: Oder wie du in eine Trance gelangst
Wie oben beschrieben, ist Trance ein Zustand, den jeder Mensch mehr oder weniger kennt. Es gibt viele Wege, in eine Trance zu gelangen. Ich stelle dir hier zwei Wege vor.
Gehe über deine Wahrnehmung und Suggestionen in eine Trance:
Setze dich bequem hin, schließe deine Augen oder fokussiere deinen Blick auf einen Punkt. Beginne wahrzunehmen, was um dich geschieht.
"Ich sehe etwas weißes. Ich höre Autogeräusche. Ich fühle ein Kribbeln auf meiner Haut."
Wenn du zwei bis drei Dinge wahrgenommen hast, knüpfe an die Wahrnehmung eine Suggestion an:
"Ich fühle ein Kribbeln auf meiner Haut. Und lasse mich in eine tiefe Trance gleiten."
Wiederhole diesen Schritt und knüpfe an jede Wahrnehmung eine Suggestion, um noch tiefer in eine Trance zu gelangen. Zeichen, dass du dich in einer Trance befindest sind unter anderem eine tiefe Entspannung, unwillkürliches Erleben (innere Bilder, Erinnerungen, Gefühle entwickeln sich wie von alleine während du auf einer bewussten Ebene dabei zusiehst) und eine verringerte Außenwahrnehmung. Nach einer Trance wirst du häufig erleben, dass dein Zeitempfinden in der Trance verzerrt war. Das heißt, dass in der Trance die Zeit schneller oder langsamer voranschritt, als das wirklich der Fall war.
Wie du über innere Bilder in eine Trance gehst:
Was für mich auch sehr gut funktioniert, um eine Trance einzuleiten, sind innere Bilder. Ich stelle mir vor, wie ich mich mit meiner Mitte verbinde und wie ich diesen Mittelpunkt spüre. Dann lasse ich den Mittelpunkt immer weiter schrumpfen und schrumpfen – bleibe mit dem Punkt aber gleichzeitig in Kontakt.
Ich wiederhole diese Übung bis ich in einen entspannten Zustand gelangt bin, in dem ich nichts brauche und nichts wünsche – einfach da bin.
Ein anderes hilfreiches Bild ist folgendes: Du stehst auf einer Turmspitze und steigst dann langsam Schritt für Schritt die Treppe hinunter und gehst mit jedem Schritt tiefer in eine entspannte angenehme Trance.
Du kannst dir auch selbst Bilder ausdenken, die für dich funktionieren – wir sind alle einzigartig, für jeden Menschen funktionieren andere Bilder schlechter oder besser – folge ganz deiner Intuition.
Der Unterschied zwischen Selbsthypnose und Hypnose
Wenn eine Person, der du vertraust, die Hypnose für dich anleitet, gelangst du zumindest anfangs in eine tiefere Trance als in einer Selbsthypnose. Um deine Selbsthypnose-Praxis zu vertiefen, macht es Sinn, die Erfahrung zu machen, wie es ist, wenn jemand anderes die Hypnose anleitet. Ansonsten ist die förderliche Wirkung von Hypnose und Selbsthypnose gleich.
In der Hypnotherapie ist es mittlerweile Konsens, dass jede Hypnose in Wirklichkeit Selbsthypnose ist. Also auch wenn eine andere Person die Hypnose anleitet – du entwickelst die Trance. Wenn du (bewusst oder unbewusst) der anderen Person nicht vertraust, entwickelst du auch keine Trance.
Selbsthypnose ist eine Fähigkeit und wie jede Fähigkeit braucht es Übung und Zeit bis du die Fähigkeit meisterst und sie mit Leichtigkeit einsetzen kannst. Es zahlt sich aus.
Quellen: Das drei-einige Gehirn – Paul MacLeanRevenstorf et al. (2003). Expertise zur wissenschaftlichen Evidenz der Hypnotherapie.
Autor: Raphael Kolic
Raphael bloggt seit Mitte 2018 für die Milton Erickson Gesellschaft für klinische Hypnose. Er macht gerade selbst die Ausbildung zum Psychotherapeuten. In Heidelberg, Wien und Hamburg hat er das Curriculum klinische Hypnose als Praktikant durchlaufen. Ein paar seiner vergangenen Projekte sind unter anderem der Blog no-right-no-wrong.com und sein Buch: Achtsame Selbsthypnose.