Wirkt Hypnotherapie bei Depressionen? – Ergebnisse einer grundsoliden Studie 🧠💡

Endlich war es diesen März so weit: Der wissenschaftliche Artikel einer bahnbrechenden Studie wurde veröffentlicht! Ich weiß noch, wie ich mir die Veröffentlichung im März 2019, also zwei Jahre zuvor, herbeigesehnt habe.

Damals saß ich in einem Vortrag von einem der Forscher:innen der Studie, Prof. Dr. Anil Batra, auf der Jahrestagung der Milton-Erickson-Gesellschaft in Bad Kissingen und lauschte mit offenem Mund der Präsentation der Studie zu. Warum ich so begeistert war? Anil Batra stellte die erste methodologisch saubere Studie mit Hypnotherapie bei Depressionen vor!

Zwei Monate später veröffentlichten wir ein Podcast-Interview mit Herrn Batra, das ihr hier verlinkt findet. Ich möchte euch nun nach zwei Jahren von dieser bahnbrechenden Studie erzählen.

Grundsätzliches 🦉

Diese Studie vergleicht den Effekt von Hypnotherapie mit dem Effekt des sogenannten “Goldstandards”, der kognitiven Verhaltenstherapie (KVT). Und zwar für die Behandlung einer leichten bis mittelgradigen depressiven Episode. Die Studienkoordination machte die Tübinger Wissenschaftlerin Dr. Kristina Fuhr; sie ist auch die Hauptautorin des Artikels.

Es ist nicht die erste Studie, welche sich dafür interessiert, wie Hypnotherapie eigentlich in der Behandlung von psychischen Störungen (auch Depressionen) abschneidet, aber keine erfüllte bisher die State-of-the-art-Standards für eine methodisch solide Untersuchung.

Mit “Vergleichen” ist hier die sogenannte “Nichtunterlegenheitsstudie” (“non inferiority study”) gemeint. D.h. die Fragestellung und statistische Überprüfung zielt darauf ab, zu schauen, ob Hypnotherapie mindestens so wirksam ist wie die KVT. Es geht also nicht um den Vergleich per se, welche Methode wirksamer ist.

Ist die Orange dem Apfel unterlegen oder nicht? Vergleichbarmachen und Nichtunterlegenheit prüfen.

Was sind die methodologischen Vorteile dieser Studie? Im Folgenden stelle ich euch eine Auswahl an sechs Punkten vor, die mich überzeugt haben.

Registrierung der Studie 👩🏾‍💻👀

Eine qualitativ hochwertige Studie veröffentlicht die Vorgehensweise und das Design vor Beginn der Datenerhebung auf der für alle einsehbaren Webseite der U.S. National Library of Medicine. Diese “Registrierung” verhindert, dass während der Studie Änderungen vorgenommen werden, weil einem z.B. die Zwischenergebnisse nicht gefallen. Es versichert auch, dass möglichst alle Eventualitäten vorab durchdacht wurden. Das wurde hier auch gemacht.

Große Stichprobe 👥💯

Es wurde ausgerechnet, wie viele Proband:innen notwendig sind, um aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten, die nicht auf Zufälligkeit beruhen. Es reichen z.B. zwei Personen nicht aus, um den Behandlungserfolg einer Therapiemethode gegen die andere aufzuwiegen. Aber wie viele man mindestens braucht, ist nicht mit einer Pi-Mal-Daumen-Regel festzulegen, sondern kann mit statistischen Berechnungen vorhergesagt werden.

Kurz und gut, für diese Studie sollten 140 Proband:innen her. Pardon, das stimmt nicht, denn wir haben vergessen, die Anzahl der Aussteiger:innen miteinzubeziehen. Aus ähnlichen Studiendesigns schließen die Autor:innen der Studie, dass 12,5% aller Teilnehmer:innen aussteigen könnten und setzten somit das Ziel auf 160 Proband:innen (wer jetzt den Taschenrechner rausgeholt hat, um das zu überprüfen: sehr scharfsinnig von euch; die zusätzlichen 2,5 Personen sind dem Motto “better safe than sorry” geschuldet). 153 haben letztlich teilgenommen, 134 haben abgeschlossen.

Die Stichprobe bestand aus Menschen zwischen 18 und 70 Jahren, welche eine leichte bis mittelgradige Episode laut der Montgomery- Åsperg Depression Rating Scale (MADRS) hatten.

Vergleichsgruppe 👯‍♂️

Idealerweise braucht es eine Kontrollgruppe, die ein Gespräch ohne psychotherapeutische Intervention beinhaltet. Aus guten Gründen ist das hier aus ethischer Sicht nicht erlaubt. Zum einen darf man leidenden Patient:innen eine Behandlung nicht verwehren, zum anderen erhöht sich mit jeder neuen depressiven Episode die Wahrscheinlichkeit einer Chronifizierung.

Auch die Wartelisten-Strategie (Wartekontrollgruppen), wo eigentlich alle eine Behandlung erhalten, nur  die eine Gruppe zeitversetzt zur anderen, ist in diesem Fall nicht okay. Andere Studien ziehen auch die Vergleichsgruppe “treatment as usual” heran, wo unklar ist, was das genau bedeutet und wie die Ergebnisse entsprechend beurteilt werden können.

Die Lösung für Psychotherapieforschung lautet daher, mit einer etablierten, evidenzbasierten Alternative zu vergleichen. Und das wurde hier auch getan. Die Wahl lag wie üblich auf der kognitiven Verhaltenstherapie, die sich in der Vergangenheit manualisieren und somit erfolgreich untersuchen hat lassen.

Manualisierung 📕 📗 📘 📙

Apropos, vielleicht seid ihr schon mal über meinen Artikel Hypnose und Wissenschaft: Was die Erforschung von Hypnose schwierig macht und warum es sich dennoch lohnt”  gestolpert. Unter anderem habe ich dort erklärt, dass die Grundidee moderner Hypnotherapie das individualisierte Vorgehen ist, und dass es genau deshalb so schwierig ist, Hypnotherapie für die Forschung zu operationalisieren / zu standardisieren.

Die Lösung für das Dilemma erklärte Herr Batra im Podcast: "Man könnte ja hingehen und ein Schatzkästlein von Interventionen bauen”. Aus diesem Potpourri an grundsätzlich passenden Interventionen könne man dann schöpfen, ohne dass jede Sitzung starr vorgegeben wäre.

Und so war es auch in dieser Studie, die aus 20 Therapiesitzungen bestand. Letztes Jahr wurde das Manual publiziert und ist für alle erhältlich. Dort haben sich namhafte Hypnotherapeut:innen des deutschsprachigen Raums Gedanken gemacht und ihr Wissen für diese Studie zusammengetragen.

Die MEG schreibt über das Manual:

Im Teil B wird der Ablauf einer hypnotherapeutischen Depressionstherapie detailliert beschrieben: Vom „Anfang der Therapie“ (Motivierung, Basisinformationen, erste Tranceerfahrungen, Sicherer Ort) zu „Entlastung, Stärkung und Ressourcenaktivierung“ (Ballonfahrt, Einflechten, Kompetenzstärkung, Loslassen, Lösungserfahrungen, Zukunftsprojektion, Lösungsvision Kinotechnik, Ziele verwirklichen) hin zu „depressionsspezifischen Techniken“ (Paradiesort, Grübeln, wieder einschlafen, Kindheitserfahrungen, Ballonfahrt, Kompetenzerfahrung, Stellvertreter-Technik, Genug-Ort, Interaktionsmuster, vom Grübeln zum Handeln, Sinnfindung, Suizidalität, Neutralisieren lebensfeindlicher Botschaften, Kriseninterventionen bei akuter Suizidalität) bis zu „Zwischenstand“ und „Abschluss der Therapie“ (Rückfallprophylaxe, Utilisieren von Symptomen, Zeitprogression, Abschluss).

Verblindung 🙈

Es wurden sogenannte blinde Diagnostiker:innen eingesetzt. Das bedeutet, dass die Diagnostiker:innen, die die Depressionskriterien nach der Behandlung überprüften, nicht die behandelnden Therapeut:innen waren und auch (in fast allen Fällen) nicht wussten (also blind dafür waren), welche Therapie die Proband:innen erhalten haben.

Blinde Diagnostiker:innen

Das ist wichtig, um den Erwartungseffekt dieser Diagnostiker:innen zu minimieren. Es könnte ja sein, dass die an der Studie beteiligten auf ein bestimmtes Ergebnis hoffen und – ohne es zu beabsichtigen – die Antworten der Proband:innen subtil beeinflussen.

Verblindet waren auch die Forscher:innen der Studie gegenüber den Ergebnissen, bis die Studie im November 2018 abgeschlossen war und sie mit der Analyse der Daten beginnen konnten. Wie gesagt: better safe than sorry.

Langzeitbefragung

Toll war auch, dass sich die Forscher:innen für zwei weitere Messungen der Depression bei den Proband:innen entschieden haben, nämlich sechs und zwölf Monate nach dem Ende der Behandlung. Das erfordert weiteren organisatorischen und finanziellen Aufwand und verschiebte auch die Publikation der Ergebnisse in weitere Zukunft. Dennoch ist es wichtig, auch zu schauen, ob die Behandlungseffekte überhaupt andauern.

Somit gab es vier Messzeitpunkte: vor der Behandlung, direkt nach der Behandlung und sechs bzw. zwölf Monate später. 70 Proband:innen haben an allen vier Befragungen teilgenommen. Die restlichen, fehlenden Daten kann man durch komplizierte statistische Methodik artifiziell auffüllen, so dass man auf ein aussagekräftiges Ergebnis nicht verzichten muss.

Ergebnis

Hypnotherapie ist lauten diesen Studienergebnisse im Vergleich zur KVT bei der Behandlung leichter und mittelgradiger depressiver Episoden in ihrer Wirksamkeit nicht unterlegen – auch nicht nach sechs und zwölf Monaten nach der Behandlung.

Wenn wir also begründeterweise davon ausgehen, dass KVT bei der Behandlung von Depressionen wirksam sein kann, so gilt das Gleiche laut dieser Studie auch für die Hypnotherapie. Das erfreut.

Bedeutung

Diese Studie ist ein erster wichtiger Schritt zur Zertifizierung hypnotherapeutischen Verfahrens bei Depressionen. Wobei es dafür der Replikation durch ähnlich konzipierte Studien von unabhängigen Forschungslaboren bedarf.

Langfristig betrachtet ist es für die Versorgungslage besser, wenn mehrere Verfahren für die Behandlung von Depressionen zugelassen und somit über die Krankenversicherungen abrechenbar sind. Bisher ist Hypnotherapie bereits vom Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie seit 2006 für bestimmte psychosomatische Erkrankungen und Raucherentwöhnung anerkannt. Vielleicht irgendwann auch für Depressionen 🤞

Sie zeigt auch, dass Hypnotherapie für Forschungszwecke standardisierbar ist. Ich hoffe, dass sie eine Inspiration für andere Universitäten sein wird, sich an die Untersuchung von Hypnotherapie zu wagen. Dann wird es auch Anreiz für unabhängige Förderungsinstitute geben, solche Studien zu finanzieren.

Wenn ihr mehr über das Manual erfahren wollt, schreibt euer Interesse in die Kommentare, und dann gibt’s mit ein bisschen Glück einen Extra-Blogartikel nur über das Manual.

Und wie immer gilt: Ich wäre hocherfreut über jegliche Reaktion eurerseits auf diesen Artikel. Wo immer ihr gerade seid – habt einen schönen Tag oder Abend und danke fürs Lesen. 🤙

Quelle: 

Fuhr, K., Meisner, C., Broch, A., Cyrny, B., Hinkel, J., Jaberg, J., Petrasch, M., Schweizer, C., Stiegler, A., Zeep, C., & Batra, B. (2021). Efficacy of hypnotherapy compared to cognitive behavioral therapy for mild to moderate depression – Results of a randomized controlled rater-blind clinical trial. Journal of Affective Disorders, 286, 166–173.

Autorin: Lisa Anton-Boicuk

Lisa hat ihren Masterabschluss in Klinischer Psychologie an der Universität Wien absolviert und erforschte dort über zwei Jahre lang den Einfluss von Hypnose auf das Wahrnehmen, Denken und Fühlen. Am Milton-Erickson-Institut Rottweil hat sie die Curricula der Klinischen Hypnose und Hypnosystemischen Kommunikation durchlaufen. Heute arbeitet sie als Psychologin in einer psychosomatischen Klinik.


Privat ist sie ambitionierte Kaffeesomelière.


Aktuelles Lieblingsbuch: Caroline Criado-Perez "Unsichtbare Frauen".

  • Britta sagt:

    Prägnanter Artikel- Danke!
    Ich wünsche mir einen Zugang zum Manual😊

  • Beate Wiethaus sagt:

    Der Artikel beschreibt detailliert, wie akkurat und sauber die Studie durchgeführt wurde und ist gut verständlich auch für interessierte Laien. Zudem ist mit der herausgearbeiteten Wirksamkeit der Hypnose eine weitere nichtmedikamentöse Therapie bei Depression im Portfolio – letztlich vielleicht für die Krankenkassen ein attraktives Argument für die Zulassung.

  • Margit sagt:

    Sehr gelungene Darstellung der Studie! Danke dafür!

  • >