Brian Allen: Erkenntnisse aus über 60.000 Therapiesitzungen

Brian Allen ist ehemaliger Präsident der Australischen Gesellschaft für Hypnose und zurzeit Vorstandsmitglied der Internationalen Gesellschaft für Hypnose (ISH). Er arbeitet seit 40 Jahren als allgemeiner Psychologe in Australien und hielt als solcher über 60.000 Face to Face Therapiesitzungen. 

Auf der Teiletagung in Heidelberg 2018 war Brian Allen als Vortragender Vorort und ich ergriff die Möglichkeit ihm ein paar Fragen zu seiner Geschichte und wichtigsten Lernerfahrungen zu stellen. 

Unser Interview fand während der Verabschiedung statt. Darum ist im Hintergrund hin und wieder ein Applaudieren zu hören. Zudem ist die Audioqualität leider nicht so gut wie gewohnt, darum gibt es auch ein Transkript am Ende dieses Blogartikels. 

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Was dich in diesem Interview erwartet:

  • Wie es kam, dass Brian auf Hypnose gestoßen ist.
  • Warum die Hypnose großartig ist, damit sich Menschen schnell besser fühlen und wie sie hilft auch dahinter liegende Probleme zu bewältigen.
  • Wie Hypnose hilft, die Beziehung zu Klienten zu verbessern.
  • Warum Hypnose ein bisschen dem Schauspiel ähnelt. 
  • Warum Hypnose Cognitive Behavioural Therapy (CBT) on Speed ist. 
  • Warum ein professioneller Hintergrund wichtig ist: Hypnose heilt nicht an sich, es sind die Fähigkeiten und das Wissen, das du in einer hypnotischen Sitzung einbringst.
  • Warum die Arbeit mit Träumen und Hypnose die CBT perfekt ergänzen.
  • Was der größte vorhersagende Faktor für erfolgreiche Entzugskuren bei Süchten ist.

Transkript

R: Danke, dass du dir Zeit für den Podcast nimmst Brian und willkommen!

B: Es ist mir ein Vergnügen.

R: Du bist der ehemalige Präsident der australischen Vereinigung für Hypnotherapie, ist das korrekt?

B: Ja und ich war der Schatzmeister und bin der aktuelle Geschäftsführer. Außerdem bin ich ein Ausbilder der westaustralischen Gesellschaft für medizinische Hypnose. Seit 9 Jahren bin ich zudem im Vorstand der internationalen Gesellschaft für Hypnose (ISH) und derzeit auch Schatzmeister der ISH.

R: Wie hast du damals von der Hypnotherapie erfahren?

B: Zu meiner Zeit gab es nicht viel praktische Erfahrung in einem Universitätsstudium. Es war ein sehr akademischer Abschluss und nur sehr wenige Psychologen praktizierten in einer eigenen Praxis in dieser Zeit. Ich hatte das Glück, von einer Person betreut zu werden, die die erste Person war, die als Psychologe in Westaustralien eine Privatpraxis eröffnete. Ich habe damals viel Transaktionsanalyse und Gestalttherapie mit Jeff White und seiner Frau Margaret gemacht. Sie waren Protegés von Bob und Mary Goulding, die Gründer der Neuentscheidungs-Therapieschule waren, die ein Teil der Transaktionsanalyse war. Jeff riet mir, dass ich so viel praktische Erfahrung wie möglich machen sollte. Tatsächlich erwähnte er mir gegenüber die westaustralische Gesellschaft für medizinische Hypnose, die das schreckliche Akronym WASMA hatte. Aber WASMA war in der Tat die erste Fachgesellschaft für Hypnose in Australien. Es war eine sehr lebendige Gesellschaft, die ein zweijähriges Stipendienprogramm hatte, an dem ich mich beteiligt habe. Das war mein Einstieg in die Hypnose.

R: Wer waren deine Lehrer in Hypnose?

B: Damals gab es eine grundlegende Philosophie, die Fähigkeiten an die nächsten Generationen weiterzugeben. So betreuten hochrangige Mitglieder des Berufsstandes, die in der Hypnose erfahren waren, junge Psychologen wie mich. Es war sehr viel von dem, was ich für eine leider verlorene, aber sehr wünschenswerte Sache halte. So erhielt ich eine Menge Training von vielen erfahrenen Leuten, die bereits einige Jahre Hypnose anwandten.

R: Wie wichtig waren diese Mentoren für dich?

B: Wir hatten eine Vielzahl von Lehrern und erhielten mehrere Inputs. Es (die Australian Society of Hypnosis) war eine sehr aufregende Gesellschaft. Es gab monatliche Meetings, in denen alle Mitglieder vorbeikamen und Fälle präsentierten, und ich saß dort als frisch gebackener Absolvent. Ich hörte mir die Begegnungen an, was einige Menschen in ihren Praxen gemacht haben. Es war eine kollegiale Atmosphäre, in der die Älteren und älteren im Sinne von wie viel Erfahrung sie hatten, die neuen Menschen im Programm förderten.

R: Was hat dich an Hypnose fasziniert?

B: Was mich faszinierte, war, dass man jemanden, der sich schon seit langem schrecklich fühlt, mit Hypnose einfach zeigen konnte, dass er sich auch anders fühlen kann. Tu, was in jenen Tagen im Wesentlichen eine grundlegende Entspannungsübung war und 20 Minuten später fühlt sich der Klient viel besser. Ich wusste es damals nicht, aber ich habe es später zu schätzen gelernt, Menschen dieses Gefühl der Hoffnung zu geben.

Oft, wenn Menschen zu Psychologen oder anderen Psychotherapeuten kommen, haben sie alles versucht, was sie sich vorstellen können. Als Psychoterapeut*in bist du ihr letzter Ausweg. Sie denken, dass nichts funktionieren wird. Wenn man dann zusammen etwas sehr Kurzes machen kann und sie sich danach verdammt viel besser fühlen, dann ist das ein sehr starker Start für eine gute therapeutische Beziehung. Das hat mich fasziniert: die Fähigkeit, mit der man Menschen dazu bringen kann, sich besser zu fühlen.

Natürlich habe ich schon zu diesem Zeitpunkt erkannt, dass es nicht nur darum geht, dass sie sich besser fühlen. Das ist eigentlich eine der größten Fallen der Hypnose. Klienten kommen, sie fühlen sich schrecklich und du machst eine Sitzung mit ihnen. Danach fühlen sie sich besser und sagen „okay, jetzt geht es mir besser“. Aber damit die Änderung nachhaltig ist, musst du an der zugrundeliegenden kognitiven Struktur arbeiten. Es ist ein Unterschied, ob ich mich nur besser fühle oder ob ich auch die zugrunde liegenden kognitiven Strukturen geändert habe.

Das ist der größte Vorteil und auch das größte Problem der Hypnose: dass sich die Menschen oft besser fühlen, aber die Menschen nicht die notwendige Arbeit geleistet haben, um dort zu bleiben.

R: Wie nutzt man Hypnose, um sicherzustellen, dass die Veränderung nachhaltig ist?

B: Wir haben viele Laien, die in Australien Hypnose praktizieren. Diese wurde vor einigen Jahren dereguliert. Es gibt einen trügerischen Glauben da draußen in der Gesellschaft, dass Hypnose die Dinge „repariert“. Und natürlich repariert die Hypnose nichts. Es sind die Fähigkeiten, die man in einer hypnotischen Umgebung einbringt, die heilend wirken. Ich sehe Hypnose ein wenig wie ein Schauspiel, wo man Theater spielt, aber man muss noch die Darsteller, das Drehbuch das Stück einbringen. Als Psychologe muss man Fähigkeiten haben, therapeutische und kognitiven Modelle kennen: All diese Dinge werden innerhalb der Hypnose dann genutzt. Hypnose gibt dir als Psycholog*in oder Therapeut*in einen Hebe. Ich sage manchmal, dass Hypnose kognitive Verhaltenstherapie auf Speed ist, weil sie den Prozess beschleunigt. Man arbeitet mit dem Unbewussten, was bewirkt, dass sich die notwendige Zeit verkürzt.

R: Es ist spannend, was du sagst, denn Hypnotherapie wird ja auch als integrativer Ansatz in der Psychotherapie verstanden.

B: Ja und Hypnose heilt nichts. Was man an Fähigkeiten und Wissen in eine hypnotische Umgebung einbringt, ist, was heilt. Menschen denken oft z. B., dass sie Hypnose einmal versucht haben und dass es nicht funktioniert hat. Die Frage ist, was hat man versucht?

Wenn du eine neurochirurgische Operation unterlaufen bist und du einen Neurochirurgen hattest, der eine 2-tägige Ausbildung absolviert hat, wirst du nicht das gleiche Ergebnis erzielen wie bei jemandem, der eine 6-jährige Universitätsausbildung und 20–30 Jahre berufliche Weiterbildung hatte.

Das ist eines der Dinge, die die Fachwelt angehen muss: Wir müssen diese sehr wichtigen Fragen der öffentlichen Aufklärung ansprechen, um Menschen zu helfen, Hypnose in einem realistischen Licht zu sehen. Es ist nicht nur das Lied, das wichtig ist, sondern auch der Sänger.

R: Dass Hypnose nicht an sich heilt, sondern dass es die Fähigkeiten sind, die man in einer hypnotischen Umgebung einbringt, ist ein schöner Gedanke. Ich habe auf deiner Website gelesen, dass du jetzt seit 38 Jahren ein allgemeiner Psychologe bist.

B: Eigentlich 39 fast 40 Jahre. Als ich an der Universität war, machte ich eine vierjährige Ausbildung an University of Western Australia, dann absolvierte ich ein zweijähriges Praktikum unter der Aufsicht eines Psychologen. Zur gleichen Zeit kam der Masterstudiengang klinische Psychologie das erste Mal auf. Ich bin technisch gesehen kein klinischer Psychologe, aber ich bin das, was im australischen Recht als allgemeiner Psychologe bezeichnet wird. Ich habe es nicht für eine Minute bereut, meine Ausbildung unter einem Praktiker absolviert zu haben, im Gegensatz zu 2 Jahren theoretischer Ausbildung an der Universität.

Ich schloss die Universität als Experte für Ratten ab, aber in den ersten 3 Monaten in der Praxis sah ich keine einzige Ratte. Ich musste selbst herausfinden, wie man mit Menschen umgeht. Das war der Zeitpunkt, an dem ich mich entschied, so viele Seminare wie möglich zu machen, die von Leuten aus der Praxis geleitet wurden.

Transaktionsanalyse und Gestalttherapie und Hypnose waren meine ersten Ausbildungen, aber ich habe auch eine Reihe anderer Dinge gelernt: Jungsche Therapie, Rational-Emotive-Therapie, was in den alten Tagen der Vorläufer der CBT war. Auch eine großartige Sache, die ich gemacht habe, die enorm hilfreich war, war die Arbeit mit Träumen. Da habe ich verstanden, wie man Träume in seinem eigenen Leben als Quelle der Führung nutzen kann. Und auch sehr wichtig, wie man Träume in der Therapie nutzen kann. Traumarbeit und Hypnotherapie passen sehr gut zusammen. Sie docken beide an der Ebene des Unbewussten an.

R: Nach 60.000 persönlichen Sitzungen und all den verschiedenen Methoden, die du gelernt hast: Wenn du all die Erfahrungen, die du gemacht hast, mitnehmen könntest und in der Zeit zurückreisen könntest. Was würdest du anders machen?

B: Ich wurde in der alten traditionellen direkten Suggestions-Technik ausgebildet. Das war Teil dessen, was man in dieser Zeit in den Seminaren gelernt hat. Später wurde ich natürlich mit dem Nutzungsmodell von Erickson vertraut gemacht. Es ist belegt, dass sowohl direkte als auch indirekte Suggestionen funktionieren. Wenn ich eine Zeitreise machen könnte, dann würde ich mir selbst raten, wenn möglich die Hypnose nach Milton H. Erickson zu erlernen. Nicht, dass das Training, das ich bekam, nicht hilfreich war, das war es. Die Hypnose nach Erickson ist eine Erweiterung der traditionellen Hypnose, die ich jedenfalls nicht mehr missen will.

Was ich auch für mich entdeckt habe und da gibt es viele Belege, die diese Annahme unterstützen: das Wichtigste, was man in die therapeutische Allianz einbringt, ist man selbst. Psychotherapeut*innen wenden eine breite Palette an unterschiedlichen Therapiemethoden in ihren Sitzungen an. Dennoch was immer wieder als das Wichtigste für Klient*innen auftaucht, ist die therapeutische Beziehung. Das ist kein Wunder, denn wenn man darüber nachdenkt, bringen Bindungsprobleme viele Menschen oder Paare in die Therapie. Wenn sie diese positiven frühen Bindung nicht hatten, manifestiert sich das als Problem später im Leben. Es geht also nicht nur um die technischen Fähigkeiten, was man für eine Therapie mit jemandem macht. Vielmehr geht es darum, diese sichere Bindung innerhalb des professionellen Rahmens der therapeutischen Beziehung zu erleben. Das heilt genau so viel wie die technischen Fähigkeiten, die man in die Therapie einbringt. Man kann ein extrem selbstbewusster Techniker sein, aber wenn man keine Menschen mag…. Oft leisten Psychotherapeut*innen mit weniger technischen Fähigkeiten großartige Arbeit, weil sie ihren Klient*innen eine sichere Beziehung bieten, die manche Menschen noch nie hatten.

R: Du hast erwähnt, dass du vor 40 Jahren in der direkten Suggestion trainiert wurdest, was sehr unterschiedlich ist zu dem, was die Menschen jetzt in Hypnose Seminaren lernen. Was waren in den letzten 40 Jahren einige überraschende Entwicklungen auf dem Gebiet der Psychotherapie?

B: Eine der Sachen, die vielleicht wenig überraschend ist, ist, dass es eine Menge Validität in einigen alten Ideen und Konzepten gibt. Leute neigen manchmal dazu, etwas zu verwerfen, weil es vor 40 Jahren entstanden ist. Meine Perspektive darauf ist, dass man eine Idee nie verwerfen sollte, weil sie aus einem bestimmten Land kommt oder in einem bestimmten Jahr formuliert wurde. Das Kriterium für eine valide Idee, sollten praktische Erfahrungen und Belege sein. Fachleute haben manchmal diese Tendenz, Dinge zu verwerfen, weil es vor 20 Jahren erfunden wurde. Und doch, wenn man altes Material liest, findet man dort auch einige Schätze und Klugheiten.

Die größte Veränderung über die letzten 40 Jahre, war die enorme Explosion im Wissen über das Gehirn und wie dieses funktioniert. In der Konferenz der internationalen Gesellschaft der Hypnose in Paris luden die Organisatoren zum ersten Mal vor der Konferenz Forscher ein, die gemeinsam über Anwendungen ihrer Forschung im Feld der Psychotherapie diskutierten. Mark Jensen hat sogar ein Paper daraufhin verfasst. Das war eine großartige Initiative.

Auf der Konferenz der ISH in Montreal haben sie das sogar noch übertroffen, weil sie die gleiche Gruppe ForscherInnen einluden und zusätzlich auch eine Anzahl erfahrener PsychotherapeutInnen einluden. Sie brachten die PraktikerInnen in einem Raum und die ForscherInnen in einem anderen Raum zusammen. Die PraktikerInnen wurden gebeten darüber zu sprechen, was einige Fragen sind, zu denen sie im Zusammenhang von Gehirn und Hypnose gern mehr erfahren möchten. Die ForscherInnen wurden gefragt, welche Forschungsfragen diese gerade bearbeiteten. In der zweiten Hälfte des Tages haben sie dann beide Gruppen zusammengebracht. Ich finde, das ist eine tolle „Hochzeit“, weil in der Vergangenheit so oft Forscher*innen und Praktiker*innen ihr Ding gemacht haben und wenig Kommunikation zwischen diesen beiden Welten stattfand. Ich denke dieser gegenseitige Austausch wird zu einigen tollen Erkenntnissen führen.

Ich weiß seit Jahren, dass einige Dinge klinisch wahr sind. Weil man es macht und es funktioniert. Ich half einem Klienten, auf Erinnerungen zurückzugreifen, die er im Schoß seiner Mutter hatte. Ich dachte, das wäre Unsinn. Aber die Forschung zeigte, dass ein Baby auf eine Soap-Opera reagiert, die die Mutter geschaut hat, während sie schwanger war oder auf Musik, die die Mutter gehört hat. Ein Baby könnte darauf nicht reagieren, wenn es dazu keine Erinnerung hätte. KlientInnen haben mir von Dingen erzählt, von denen ihre Eltern ihnen nie erzählt haben. Als PsychotherapeutIn tut man, was funktioniert, selbst wenn jemand sagt, dass das unmöglich ist. Es gibt zwei Wahrheiten, eine objektive Wahrheit und eine narrative Wahrheit. Und womit du als PsychotherapeutIn arbeitest, ist die narrative Wahrheit. Spielt es eine Rolle, ob der kleine Jimmy an diesem Abend ein grünes oder ein blaues Hemd trug? Es spielt überhaupt keine Rolle.

Das Spannende ist die Tatsache, dass die Forschung in der Lage ist, die klinischen Praktiken zu verbessern. Und ich denke, die klinische Praxis wiederum wird einige interessante Wege für WissenschaftlerInnen eröffnen. Es gibt einige fantastische WissenschaftlerInnen, die großartige Dinge tun und es gibt einige wunderbare PsychotherapeutInnen, die großartige Dinge tun. Bis diese anfangen, miteinander zu reden, arbeiten sie getrennt. Ein erster Dialog war bereits möglich aufgrund der Arbeit von Mark Jensen und der ISH und Claude Virut, MD dem ehemaligen Präsidenten der ISH. Das ist nur der Beginn einer Reise, die in den nächsten Jahren wirklich aufregend sein wird.

R: Was sind im Moment einige interessante Studien?

Ich arbeite viel mit Süchten. Ich habe mit Raucher*innen angefangen, jetzt beschäftige ich mich auch mit Heroin, Pornografie, Internetabhängigkeit und so ziemlich jeder Sucht. Ich habe ein generisches Vier-Sitzungs-Protokoll entwickelt, in dem wir gute Ergebnisse erzielen mit sehr wenig Entzugserscheinungen. Was mich immer fasziniert hat, ist, was im Gehirn vor sich geht, dass jemand mit einem schädlichen Verhalten aufhört. Es scheint, dass es sehr wenig mit der Menge, Anzahl oder Qualität der Substanz zu tun hat, die sie einnehmen. Was ich als wichtigsten Erfolgsfaktor erachte, ist die Klarheit der Absichten der Menschen.

Ich habe Leute betreut, die tranken und rauchten unglaublich viel. Eine Dame rauchte 90 Zigaretten pro Tag. Sie war diejenige, die meine Meinung geändert hat, dass Rauchen primär eine chemische Abhängigkeit ist. Ich mache meine Sitzungen immer nacheinander in drei Tagen. Als sie nach Tag eins rausging, dachte ich mir: „wenn jemand Entzugserscheinungen haben wird, ist das sie“. Ich sagte ihr das aber nicht, das war, was ich dachte. Sie trank auch jeden Abend ein paar Flaschen Wein. Als sie am zweiten Tag in die Praxis kam, sagte sie, dass sie keinen Alkohol getrunken und keine Zigarette geraucht hatte. Und ich fragte sie: „Wie geht es dir?“ In der Erwartung, dass sie sagt, dass es ihr schrecklich geht. Sie sagte aber, dass sie sich gut fühle. Sie meinte, sie habe sich seit 30 Tagen morgens nicht mehr so gut gefühlt. Sie hatte nie wieder einen Drink oder eine Zigarette geraucht. Ich folgte ihr für ein paar Monate und ihr ging es gut.

Das war ein sehr wichtiger Teil der Reise für mich, weil es meine Sichtweise auf die Natur der Sucht änderte. Zudem glaube ich nicht mehr, dass Rauchen vor allem eine chemische Sucht ist. Vielmehr scheint es eine psychologische Sucht mit vielen Reizen und Auslösern im Umfeld zu sein.

R: Wenn jemand mehr über dieses Vier-Sitzungs-Protokoll erfahren möchte, wie oder wo könnte er oder sie das tun?

Meine Frau, Carina und ich reisen ziemlich viel und machen den Workshop gerne überall. Eines der Probleme, mit denen du konfrontiert bist, wenn du auf Konferenzen und Kongressen präsentierst, ist, dass du eigentlich 1–3 Tage brauchst, um eine neue Fähigkeit auch zu vermitteln. In Montreal hatte ich 90 Minuten um das Modell zu präsentieren, hier (auf der Teile-Tagung in Heidelberg) hatte ich 3 Stunden. Informationen ändern nichts. Es ist die Fähigkeit, die man erlernen muss. Im Modell gibt es eine bestimmte Art der Anamnese von Menschen und es gibt Prozesse, die man durchlaufen muss. Der einzige Weg, das zu tun, ist, in einer Workshop-Umgebung zu üben.

R: Bevor wir zum Schluss kommen: Gibt es eine Frage, die ich nicht gestellt habe, die du aber beantworten wollen würdest?

Das Einzige, was ich unterstreichen würde, ist Menschen in der Psychotherapie-Ausbildung zu helfen, nicht nur technische Fähigkeiten zu entwickeln, sondern die Bedeutung der therapeutischen Beziehung zu verstehen und sie zu unterstützen dabei besser zu werden. Ich denke, bis zu einem gewissen Grad, um das zu tun, muss man auch viele eigene Themen klären. Je mehr ungelöste Probleme man in seinem eigenen Leben hat, desto wahrscheinlicher ist es, dass man eigene Probleme auf den Klienten überträgt.

Nach meinem Abschluss an der Universität haben wir eine große Menge Selbsterfahrung gemacht. Eine Übung nannten wir Fischglas. Es gab 20–30 Stühle in einem Kreis und in der Mitte saß der Moderator in diesem Fall Jeffrey White, der in die Runde fragt, wer als Therapeut*in arbeiten möchte. Dann fragte er, wer an einem eigenen Thema/Problem arbeiten möchte. Das waren übrigens keine Rollenspiele, das waren essenzielle Probleme, an denen da gearbeitet wurden. Der/die Therapeut*in arbeitete dann mit dem Klienten, alle anderen beobachteten das Gespräch. In der Nachbesprechung wurde der Klient dann gebeten zu sagen, wie er sich fühlte und über den Prozess zu reflektieren. Der Therapeut wurde gefragt, warum er welches Vorgehen gewählt hatte. Danach konnte die Gruppe Fragen stellen oder Beobachtungen mitteilen.

Ich denke, das war ein enorm mächtiges Lehr- und Lernmodell. Wir konnten die Erfahrung machen, was es bedeutet, auf dem einen als auch auf dem anderen Stuhl zu sitzen. Es bedeutete auch, dass viele von uns eine Menge persönlicher Arbeit geleistet haben.

Ich erinnere mich, dass vor Jahren im Ausbildungsprogramm eine nette Dame und ausgebildete klinische Psychologin dabei war. Ich habe darüber gesprochen, was man bei schweren Emotionen tun muss, wie man diese verarbeitet. Sie sagte zu mir: „Oh, ich lasse nie zu, dass der Klient in schwere Emotionen gerät“. Ich fragte, warum nicht und sie sagte, dass sie es für beunruhigend halte. Offensichtlich hatte sie keine oder wenig Selbsterfahrung gemacht. Ich habe sie gefragt, wie viel persönliche Arbeit sie an ihr selbst gemacht habe, und sie sagte, sie habe noch nie einen Psychologen gesehen.

Ich denke, es ist extrem schwierig, psychotherapeutisch zu arbeiten ohne regelmäßig Selbsterfahrung zu machen. Lernen und persönlicher Wachstum ist nicht etwas, das aufhört. Veränderung ist ein Prozess und kein Ereignis. Das Leben ist eine Reise und was wichtig ist, ist nicht so sehr das Ziel, sondern das Unterwegssein. Als Psychotherapeut*in wird es immer persönliche Themen geben, die ich klären sollte. Ich als Therapeut*in muss das selbst tun. Und das Wichtigste ist, das zu erkennen.

Ich kann mich da irren, denn ich weiß, dass die Ausbildung in Europa deutlich anders ist als in Australien. In Australien werden wir zunehmend von einer manualisierten Therapie geprägt. Hier ist das XYZ-Handbuch, blätter auf Seite 1 und mach, was da steht. Wenn man das tut, ist man nicht wirklich beim Klienten präsent. Man muss den Klienten nicht im eigenen Weltbild, sondern im Weltbild des Klienten treffen und bereit sein, in deren Fußstapfen zu treten. Denn wenn man das nicht kann, glaube ich nicht, dass man eine erfolgreiche therapeutische Beziehung aufbauen kann. Wenn ich eine Frage beantworten hätten wollen, wäre es diese Frage gewesen: Was denkst du, wäre hilfreich für die Ausbildung, junger PsychotherapeutInnen.

R: Vielen Dank für deine Zeit.

B: Es war mir ein echtes Vergnügen. Wenn du Gedanken laut hörst, hast du die Chance, sie zu ändern. Eines der Dinge, die ich am therapeutischen Prozess enorm nützlich finde, ist, die Menschen dazu zu bringen, diesen Prozess der Externalisierung zu schätzen. Solange der Gedanke nur in deinen Kopf herumkreist, bist du hilflos. Aber wenn du es laut hören kannst und hörst, wie jemand anderes es reflektiert, wenn du es in Form von Poesie oder Sprichwörtern aufschreiben kannst, oder wenn du es durch Kunst, Tonmodell bearbeiten kannst. Wenn du es externalisierst (in welcher Form auch immer), hast du die Chance, einen Schritt zurückzugehen und das Thema objektiv zu betrachten, was du nicht tun kannst, solange es nur im Raum zwischen deinen Ohren liegt. Also vielen Dank für dieses Gespräch.

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