Der richtige Umgang mit Populismus – Lektionen aus der Hypnotherapie

Angst essen Politik auf!

 Vor kurzem las ich in der Zeitung DIE ZEIT einen Artikel¹, der den Umgang mit Populisten*innen behandelt und gleichzeitig einen spannenden Vergleich zur Psychotherapie ermöglicht:

 Es geht um den in der Politik mittlerweile geflügelten Satz: „Wir müssen die Ängste und Sorgen der Menschen ernst nehmen“.

 Bei meiner Recherche fand ich weitere Artikel, die sich mit dem Phänomen „die Ängste ernst nehmen“ beschäftigen. Viele dieser Artikel thematisieren eine Parallele zum Umgang mit Ängsten in der Psychotherapie. Auf die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen dem Umgang mit Ängsten in Politik und Psychotherapie werde ich im Verlauf des Artikels noch genauer eingehen.

  Woher kommt der Satz überhaupt? Mit oben zitiertem Satz wird beispielsweise nach verlorenen Wahlen von Politiker*innen erklärt, weswegen die AfD weiter erstarkt sei und was man dagegen tun könne. Besonders auffällig ist, dass dieser Satz von Politiker*innen aller Parteien gebraucht wird. Solche Einigkeit herrscht ansonsten selten innerhalb des politischen Spektrums.

  Dabei werde dieser Satz, laut Autor Jens Jessen, selten konkretisiert. Oft bleibt unklar, was damit überhaupt gemeint ist: Um wen genau geht es eigentlich (Wer sind „die Menschen“?) 

  Genauso wenig wird erklärt, ob die Sorgen dieser Menschen berechtigt sind oder nicht. Wer entscheidet, ob Ängste und Sorgen berechtigt sind? Aufgrund welcher Kriterien? Es ergibt sich der Verdacht, dass dieser Satz häufig nicht mehr als eine Phrase ist.

 Dabei ist es letztendlich egal, ob es sich um Populismus in den USA, Deutschland, Österreich, Ungarn, den Niederlanden oder anderen Ländern handelt: In vielen Staaten kommt es zum Erstarken von nationalistischen populistischen Bewegungen. Ein zentrales Instrument der Populisten*innen ist das Spiel mit den Ängsten der Wähler*innen.

  Vordergründiges Anliegen vieler populistischer Aussagen ist es, dabei Angst vor Ausländer*innen, Flüchtlingen und einer „Überfremdung“ zu schaffen.² ³

Das Problem mit dem subjektiven Sicherheitsempfinden

 Ein wichtiger Aspekt ist laut Jessen das subjektive Sicherheitsempfinden der Menschen. Dieses ist gekennzeichnet durch die Sorge vor hoher beziehungsweise steigender Kriminalität. Auch wenn die tatsächliche Kriminalität sinkt. Die Ursachen dieser Sorgen seien oftmals bloß „andere, subtilere Lebensängste, die schwer zu erklären und kaum rational nachvollziehbar sind.“⁴

 Was die wirklichen Ursachen der diffusen Ängste sind, sei einmal dahingestellt – im Rahmen dieses Artikels lasse ich das offen.

 Populist*innen berufen sich gerne auf das vermeintlich beschädigte Sicherheitsempfinden. Sie nutzen die Ängste der Menschen, um damit demokratische Prinzipien infrage zu stellen. Ein weiteres Problem ist hierbei der Einfluss von populistischen Medien.⁵

 Die Aussage des Artikels „Angst essen Politik auf“ ist, dass es wichtig sei, diese Ängste eben nicht ernst zu nehmen. Denn Ängste seien etwas Irrationales und gerade irrationale Aspekte sollten in den politischen Diskurs keinen Eingang finden. Jessen begründet das damit, dass man Angst schließlich niemals widerlegen kann, da es nur schwer möglich sei, Ängste in berechtigte und unberechtigte Ängste einzuteilen.

  Die Abqualifizierung von Ängsten als falsch und irrational ist allerdings kontraproduktiv, da diese subjektiv ja immer als wahr empfunden werden.

 Hier entsteht eine spannende Verknüpfungsmöglichkeit zu Hypnotherapie oder zur Psychotherapie im Allgemeinen. In der Therapie werden Ängste meistens nicht als rational oder irrational bewertet, sondern sie werden einfach als das angenommen, was sie für die Menschen sind: nämlich meistens belastende Gefühle. Viele wollen die Angst daher einfach „weg haben“.

  Dabei besteht in der Therapie gerade die Herausforderung darin, Gefühle zuzulassen, sie anzunehmen und sich dann mit ihnen (gemeinsam mit dem*der Therapeut*in) auseinanderzusetzen.

 Wenn man nun die populistischen Lösungsansätze auf die therapeutische Arbeit überträgt, könnte man sagen: Populisten*innen geben den Menschen das Gefühl, sie zu verstehen. Mit dem Unterschied, dass sie ihnen dann gleichsam eine einfache Lösung anbieten. Nämlich einen problematischen Teil als „Schuldigen“ zu finden in einem in Wirklichkeit komplexen Zusammenspiel von Wirkfaktoren.

  Mit der (scheinbaren) Annahme der Ängste endet aber auch schon die Gemeinsamkeit zwischen Populisten*innen und Therapeut*innen. Denn im Gegensatz zum populistischen Ansatz liefert die Psychotherapie kein fertiges Lösungskonzept. Im Gegenteil: therapeutisch geht es darum, Klient*innen zu helfen, die herausfordernden Gefühle (zum Beispiel Angst) erst einmal zuzulassen.⁶ Das ist notwendig, um sich daraufhin mit den Ängsten auseinandersetzen zu können. Dies wollen Populisten*innen natürlich nicht – sie schüren stattdessen Ängste.

  Auf diese hypnotische Bahnung hat übrigens auch Gunter Schmidt im MEG-Hypnose-Podcast hingewiesen: Durch angsterzeugende Aussagen sollen Menschen in einen Bewusstseinszustand gebracht werden, der der Machterhaltung der Populist*innen dient. In der Therapie hingegen sollen die wahren Ursachen dieser Gefühle aufgedeckt werden. Wenn die wahren Ursachen von Ängsten geklärt sind, kann man sich dann mit diesen auseinandersetzen.

  Statt zu sagen „Das ist die Lösung aller Probleme“, ist das Ziel, sich schrittweise an den Umgang mit schwierigen Gefühlen zu gewöhnen. Das Erleben und Wertschätzen von teilweise widersprüchlichen inneren Anteilen ist die Voraussetzung für einen Wandel der Wahrnehmung.

Positive Folgen des Populismus?!

 Gibt es auch positive Entwicklungen durch das Aufkommen von rechtspopulistischen Strömungen? Auch zu dieser Frage stieß ich bei meiner Recherche auf interessante Antworten:

Hurra wir sind politisiert

 Der Artikel „Hurra, wir sind politisiert“⁷ von Martin Machowecz verweist darauf, dass das Erstarken rechtspopulistischer Parteien in Ostdeutschland eigentlich ein Segen für die demokratische Gesellschaft sei. Denn dieser Rechtsrutsch und das Spiel mit den Angstgefühlen der Menschen habe dazu geführt, dass sich breite Teile der Bevölkerung, die zuvor noch relativ unpolitisch gewesen sind, nun politischer engagieren. Zudem sei es zu einer verstärkten Kultur des Redens über schwierige politische Themen gekommen – ähnlich zum Erlernen einer neuen Sprache habe es die demokratische Gesellschaft geschafft, eine Sprache für den Umgang mit populistischen Themen zu finden.

Der Umgang mit herausfordernden Gefühlen ist entscheidend

 Hier kann man wieder eine Verbindung zur therapeutischen Intervention sehen, diesmal allerdings auf eine positive Art und Weise: Der Umgang mit herausfordernden Gefühlen (der Angst) kann dazu führen, dass man sich mit schwierigen Themen auseinandersetzt.

 Zwar reicht Reden alleine oft nicht – auch die Handlungen müssen natürlich dem Besprochenen folgen. Das ist in der Therapie und der Politik genauso. Doch das Sprechen über und mit den Menschen ist ein Schlüssel zum Verständnis ihrer Bedürfnisse.

  Hinter dem Ausdruck von Angst steckt immer auch ein Bedürfnis (oftmals nach Sicherheit und Handlungsfähigkeit). Machowecz ist der Ansicht, dass man die Ängste der Menschen ansprechen sollte, dabei aber gleichzeitig keine rechtsextremen Ressentiments bedienen dürfe.

Ursachen auf den Grund gehen statt Symptome bekämpfen

 Daher gilt es in einem rationalen und demokratischen Prozess Ansätze zu finden, die nicht nur einen Teil der Symptome bekämpfen. Wenn diese Probleme behandelt werden, dann rücken die Menschen unter Umständen auch ab von intoleranter Ausländerfeindlichkeit.

 Hier ergibt sich eine weitere Vergleichsmöglichkeit zur Psychotherapie: viele Bürger*innen, die mit wachsender Unzufriedenheit von demokratischen Parteien zur mindestens rechtspopulistischen (oder möglicherweise rechtextremen) AfD gewechselt sind, hätten dadurch zum ersten Mal ihre Unzufriedenheit artikulieren können. Ähnlich wie ein (scheinbar) destruktiver Persönlichkeitsanteil durch selbstschädigendes Verhalten auf ein berechtigtes Bedürfnis aufmerksam machen will, hätten die Bürger*innen nun ihrem zuvor nur unterschwellig gefühlten Unwohlsein Ausdruck verliehen. Laut Machowecz ist es also keine Lösung, die Angst gar nicht ernst zu nehmen, gleichwohl muss sie ihr mit den richtigen Mitteln begegnet werden. 

 Destruktiven Persönlichkeitsanteilen Gehör verschaffen

 Wenn destruktive Persönlichkeitsanteile Gehör finden und sich ihre wahren Bedürfnisse dahinter zeigen, verlieren sie oftmals ihre schädigende Wirkung.

  Dies kann zum Schlüssel dazu werden, neue Lösungsstrategien zu finden. In der Politik heißt das beispielsweise, sich zu einer toleranten und weltoffenen Gesellschaft zu bekennen, die sich nicht auf einfache angstmachende Positionen reduzieren lässt. Im therapeutischen Umgang kann das heißen, für sich Strategien zu finden, wie man sich trotz des achtungsvollen Erlebens von Angst mit den eigenen Ressourcen in Kontakt bringt, verantwortungsbewusst und handlungsfähig zu werden.

 Das Erstarken der AfD wirke laut Machowecz revitalisierend auf die anderen demokratischen Parteien. Und so können auch im therapeutischen Prozess zunächst destruktive Persönlichkeitsanteile einen Hinweis darauf geben, dass andere innere Anteile gestärkt werden müssen.

  Wie im Menschen selber herrschen auch in einer Demokratie verschiedene Meinungen und Ansichten. Diese können manchmal herausfordernd sein. Trotzdem ist eine achtungsvolle und rationale Auseinandersetzung mit den eigenen Gefühlen letztendlich der Schlüssel: dafür selbstverantwortlich und rücksichtsvoll zum Wohle aller zu agieren. Dies gilt gleichsam für die inneren Anteile, Gefühle oder Menschen in der Gesellschaft.

 Der Umgang mit Ängsten ist nicht identisch in Politik und therapeutischen Interventionen. Aber der Vergleich - vom inneren Verhältnis einer Gesellschaft zueinander und dem inneren Verhältnis eines Menschen zu seinen eigenen Gefühlen - kann viele interessante Vergleichspunkte liefern. Und aus denen lässt sich für Politik und Therapie sicher immer etwas Spannendes lernen.

 Wie seht ihr den Umgang mit Ängsten in der Politik: sollte, man sie immer ernst nehmen? Welche Kriterien kann man anlegen? Was kann man aus der Therapie lernen, um mit Ängsten von Menschen umzugehen? Kann das helfen, populistische Themen besser zu behandeln?

Autor: Aldo Haumann MA. MSc.

Aldo ​ist Master of Arts der Philosophie und absolvierte in Wien ein Masterstudium für hypnosystemische Beratung und Interventionen. Er macht zurzeit eine Ausbildung zum Lebens- und Sozialberater und systemischen Coach. Im Zuge dieser Ausbildung betreut er hypnosystemische Kongresse und Institute in Deutschland und Österreich.

  • Aldo sagt:

    Hier noch mal ein spannender Link. Über das Thema habe ich auch recherchiert beim Schreiben des Artikels, aus Platzgründen habe ich es dann aber doch nicht mehr eingebaut:

    https://www.deutschlandfunkkultur.de/ambiguitaetstoleranz-lernen-mit-mehrdeutigkeit-zu-leben.976.de.html?dram:article_id=466828

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