Prüfungsangst – Was passiert in mir und wie damit umgehen?

Mein Herz pocht. Ich stehe vor dem Audimax. Einer der größten Hörsäle in Tübingen. Ich habe das Gefühl umzukippen. Meine Hände schwitzen. Was, wenn ich versage? Was mache ich denn dann? Dann war’s das mit Psychologie. Ich fange an, schneller zu denken. Was soll ich tun? Ich kann nicht weglaufen. Die Prüfung kommt immer näher. Noch 30 Minuten. Ich halte diesen Druck nicht aus. Ich fange an, vor dem Audimax, auf- und abzulaufen. Statt der kämpfende Löwe zu sein, bin ich hinter meinen eignen Gittern gefangen…

pruefungsangst

Was ist Prüfungsangst und wie viele Studierende sind betroffen?

Prüfungsangst betrifft zwischen 10 und 40 % aller Studierenden in Deutschland. Sie ist eine Form von meist zeitlich begrenzter Bewertungsangst.

Ein bisschen Prüfungsangst ist sogar gut

Bei genauerem Hinsehen habe ich festgestellt, dass Prüfungsangst nicht nur negative Seiten hat. Im geringen Maß scheint sie sogar unsere Leistungsfähigkeit und Motivation zu steigern. Davon berichten z.B. Geiger, die kurz vor einem Konzert stundenlang und mühelos ein einziges Solo üben.

Aber zu viel der Angst wird zum Problem...

Mir wurde mein Problem der Prüfungsangst bewusst, als sich die mittelmäßige Angst zu nackter Panik entwickelt hatte. Statt meiner erwünschten Leistungsfähigkeit habe ich vor allem Leistungsdruck und Lernblockaden erlebt. Ich habe angefangen, angstbesetzte Situationen zu meiden und mich nicht mal mehr in den Hörsaal getraut. Die meiste Zeit habe ich damit verbracht, dem Thema Computergestützte Datenanalyse aus dem Weg zu gehen. Ein typisches Verhalten bei Prüfungsangst (Pektrun & Götz, 2006). Verwirrend. Unlogisch. Aber genau das macht Prüfungsangst aus.

Vermeiden und Aufschieben hilft bei Angst nur kurzfristig

Auch wenn das Aufschieben kurzfristig Erleichterung gebracht hat, war das Vermeidungsverhalten auf lange Sicht immer von Nachteil (Höcker, Engberding, Beißner & Rist, 2009). Meine größte Lernlektion war es, diese unangenehmen Gefühle der Prüfungsangst aushalten zu lernen.

Auszuhalten, dass ich nicht alles weiß.

Auszuhalten, dass mein Herz wie verrückt pocht und ich es nicht ändern kann.

Auszuhalten, dass ich auch dann noch leistungsstark bleibe, wenn ich diese eine Klausur ein weiteres Mal mit Ach und Krach in den Sand setze (vgl. hierzu auch Pektrun & Götz, 2006).

Warum kann ich nicht klar denken, wenn ich in der Prüfung sitze?

Stellen wir uns vor, unser Gehirn ist eine Box. Diese Box repräsentiert die Menge an Dingen, die unser Gehirn gleichzeitig verarbeiten kann. Da wir ordentlich Prüfungsangst empfinden, befinden sich in der Box auf jeden Fall eine Menge Sorgen. Das sind so viele, dass sie viel Platz und damit Gehirnkapazität beanspruchen. Um das Bild der Prüfungsangst abzurunden, gehören noch Schweißausbruch-Kommandos und Versagensängste in die Box. Die Menge an Schweißausbruch-Kommandos und Versagensängsten ist dabei so groß, dass unsere Box namens Gehirn vollkommen ausgefüllt ist.

Die Gehirn-Box ist voller Angst-Gedanken – welche Lernauswirkungen hat das?

Genau wie diese Box sind auch unsere Gehirn-Kapazitäten begrenzt. Nimmt die Prüfungsangst mit all ihren Komponenten zu viel Platz in unserer Box ein, steht weniger Gehirnkapazität für das Lernen vor der Prüfung und das Bearbeiten der Aufgabe während der Prüfung zur Verfügung. So kann es schon sein, dass man vor lauter Sorgen lieber drei Stunden lang das gleiche traurige Lied singt. Sich dabei ausmalt, wie man auf dem Loser-Podest steht und seine Prüfungsangst feiert, indem man zumindest das traurige Lied auswendig vorsingen kann. Und warum dieses Verhalten? Weil in der Gehirn-Box viele Ängste sind, kein Platz für das Lernen mehr frei war, aber noch ein Eckchen für das Singen zur Verfügung stand.

Von der Theorie zur Praxis: Was kann ich gegen Prüfungsangst tun?

Bevor ich meine Perlen der Selbsthypnose mit dir teile, möchte ich zunächst kurz auf simple Handgriffe für den Lern-Alltag eingehen.

Fange vom Groben an und arbeite dich ins Kleine vor.

Die größte Falle der Prüfungsangst ist das Lernen von unnötigen Details. Das geht häufig mit dem Gefühl einher, nicht vorwärtszukommen (Pektrun & Götz, 2006). Vermeide diese Falle, indem du dich vom Groben ins Kleine vorarbeitetest. Meist kannst du dir im Verlauf die Feinheiten aus deinem Überblickswissen ganz ohne Lerninvestition herleiten.

Gehe mit Neugierde und Offenheit an noch unbekannte Themen.

Häufig geht das Angstgefühl in der Prüfungssituation mit dem Gefühl der eigenen Inkompetenz Hand in Hand (Häublein, 2018). In solchen Situationen hat es mir geholfen, mich auf bereits erfolgreiche Lernerfahrungen wie das Schreibenlernen oder Fahrradfahren zu besinnen, die vor allem deshalb erfolgreich waren, weil ich sie offen und neugierig angegangen bin (Häublein, 2018; Selbstfürsorge-Trance „Löwengeschichte“ von Bernhard Trenkle).

Worst-Case-Szenario in meinem Kopf und der Umgang damit

Stelle dir vor, deine Angst ist wahr geworden und du hast die Prüfung tatsächlich nicht bestanden. Was an dieser Situation ist das Schlimmste und was würde dir in dieser Situation helfen? (Häublein, 2018) Dale Carnegie unterteilt das Worst-Case-Szenario in drei Schritte, um erfolgreich mit einer Angst-Situation umzugehen (Carnegie, 1984):

              1. Was könnte die schlimmste Folge/ die absolute Katastrophe meines Versagens sein?

              2. Wie akzeptiere ich diese möglichen Folgen/diese Katastrophe möglichst erfolgreich?

              3. Nachdem ich sie akzeptiert habe: Was kann ich tun, um die Folgen im Voraus abzumildern?

Sowohl Häublein (2018) als auch Carnegie (1984) betonen, dass es vor allem darum geht, sich auf deine eigenen Handlungsmöglichkeiten zu konzentrieren.

Die Perlen der Selbsthypnose

Die Perle der subjektiven und objektiven Zeit

Wir alle tragen die Perle der subjektiven und objektiven Zeit in uns und haben daher die Fähigkeit, zwischen objektiver und subjektiver Zeit hin- und herzutauschen (Trenkle, 2005). Die meisten entdecken diese Perle intensiv, wenn sie das erste Mal verliebt sind. Auch wenn man objektiv Stunden damit verbringt, an eine Person zu denken, bleibt das subjektive Gefühl nur eben mal kurz an den Liebsten oder die Liebste gedacht zu haben. Wie kannst du diese Perle nun zur Bewältigung deiner Prüfungsangst einsetzen?

Nutze die Perle der Zeit für’s Wiederholen beim Lernen

Du kannst die Perle der subjektiven Zeit anwenden, wenn du an deinem Schreibtisch sitzt. Du kannst in objektiv kurzer Zeit, subjektiv Stunden damit verbringen, das gerade gelernte Thema zu wiederholen. Dafür musst du objektiv nur wenige Minuten aufbringen.

Nutze die Perle der Zeit für’s Entspannen

Gleiches gilt für die Entspannung: Wenn du erschöpft bist und eine Pause brauchst, kannst du in objektiv kurzer Zeit unendlich lang entspannen, ohne dass du objektiv viel Zeit investieren müsstest.

Die Perle der Allwissenheit

Ich habe die ersten Klausur-Versuche offensichtlich nicht geschafft, denn ich sitze nun zum vierten Mal im Audimax. Die Klausur liegt vor mir. Mein letzter Versuch also. Doch heute habe ich eine Perle der Selbsthypnose dabei. Die Perle der Allwissenheit.

Bevor ich auch nur auf die Aufgaben geschaut habe, schließe ich meine Augen, und atme tief durch. Ich frage mich immer wieder in Gedanken: „Wenn ich alles wüsste, was ich gelernt habe, was würde ich schreiben? Wie würde sich dieses Gefühl anfühlen?“ Und da ist es plötzlich - ich spüre das Gefühl.  Es breitet sich angenehm in meinem Bauch aus. Ich öffne meine Augen und beantworte die Fragen so, als ob ich die Antworten wirklich kennen würde. Es hat funktioniert. Ich habe bestanden.

Und zum guten Schluss…

Auch wenn der kämpfende Löwe in uns manchmal hinter ein paar Gittern gefangen zu sein scheint, muss dieser dort nicht bleiben. In meinem Fall hat der Löwe nur etwas geschlummert. Die Hintertür des Käfigs stand aber die ganze Zeit offen, ich hab’s nur vor lauter Angst nicht bemerkt. Ich musste mutig sein und neue Wege gehen. Und manchmal braucht es für diese neuen Wege nur ein paar neue Impulse. Unser innerer Löwe ist in der Lage zu kämpfen, gerade während er Perlen trägt.

4. Zum Weiterstöbern

Häublein, P. (2018). Hypnosystemische Konzepte zum Umgang mit Prüfungsangst bei Studierenden. Verlag für Systemische Forschung im Carl-Auer Verlag.

Autorin: Kaltrina Gashi

Kaltrina studierte Psychologie an der Eberhard Karls Universität in Tübingen und wurde für ihre Bachelorarbeit im Jahr 2019 mit dem Nachwuchsförderpreis der Milton Erickson Gesellschaft ausgezeichnet. Zurzeit studiert sie Humanmedizin in Homburg (Saar). Als Praktikantin lernte sie in Rottweil die Grundlagen der Hypnotherapie und ihre Anwendung in der Familien-, Kinder- und Jugendpsychotherapie kennen.

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